Der französische Philosoph Roland Barthes betitelte 1960 einen Artikel mit «Blau ist dieses Jahr in Mode». 2017 hätte er sicher dem Feminismus diese Ehre zuteilwerden lassen. Ja, Feminismus ist in Mode, und das ist gut so.

Der &laquo;Women&#39;s March&raquo; vom 21. Januar offenbarte die ungeheure Energie der Frauen, die nicht nur auf ihre Frauenrechte pochen, sondern ihre Menschenrechte entschlossen verteidigen. Was ist Feminismus heute? &Uuml;ber die Popkultur transportieren neue Stimmen und neue Gesichter Werte wie Diversit&auml;t und Solidarit&auml;t. Der Feminismus erlebt eine Renaissance, von der Strasse bis zu den Rednerb&uuml;hnen. Das Portr&auml;t einer engagierten Generation.

«This is not a time for shy people! Shy people, you have two hours to get over it», rief Michael Moore am «Women‘s March» in Washington.

Der 21. Januar in Washington, New York, Los Angeles, Atlanta und Phoenix, in Genf, Tokyo, Nairobi, New Delhi, Berlin, Sydney, Paris, sogar am S&uuml;dpol: Millionen Frauen gingen auf die Strasse, um geh&ouml;rt zu werden und ihre Rechte gegen einen notorisch frauenfeindlichen Pr&auml;sidenten zu verteidigen.

Auf den Instagram-Accounts, denen ich folge, tauchten &uuml;berall Bilder von rosa M&uuml;tzen auf. Die Demonstrantinnen trugen diese &laquo;pussy hats&raquo; als Protest gegen Donald Trumps Ausspruch &uuml;ber Frauen &laquo;grab them by the pussy&raquo;. Ich erinnere mich auch an ein paar skeptische Kommentare, die die Bewegung niedermachten. Der Grundtenor war: &laquo;Wozu gehst du denn &uuml;berhaupt auf die Strasse?&raquo; Die Kommentare zogen mehr oder minder offen in Zweifel, ob das Engagement legitim sei, da sich Frauen, die Instagram nutzten, sich sonst eher f&uuml;r A&ccedil;ai-Bowls oder die Fashion Week interessierten. &laquo;Wor&uuml;ber beschwerst du dich als weisse, westliche, privilegierte Frau? Welche Rechte hat man dir genommen?&raquo; Vom Keyboard aus wischten sie die Argumente, den Zorn und die Energie der Demonstrantinnen weg und taten diesen Protestmarsch als unberechtigte Laune kleiner verzogener M&auml;dchen ab. Wenn gewisse amerikanische Frauen in den Kommentaren Kritik an der Rechtm&auml;ssigkeit des &laquo;Women&lsquo;s March&raquo; aus&uuml;bten, dann statistisch gesehen wohl eher die 53 Prozent weissen W&auml;hlerinnen Trumps (94 Prozent der schwarzen Frauen w&auml;hlten dagegen Clinton).

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Auf die Strasse gegen Trump. F&uuml;r die St&auml;rkung der Frauenrechte. Um das Recht auf Abtreibung zu verteidigen. Gegen neue Einwanderungsgesetze und Rassenungleichheit. F&uuml;r LGBT-Rechte, Lohngleichheit und Umweltschutz. Alle gegen ihn vereint. Unter dem Anti-Trump-Banner fanden sich Gruppen und Anliegen von grosser Diversit&auml;t zusammen. Vor allem die Frauen vereinten ihre k&auml;mpferischen Kr&auml;fte. Manche Schwarzseher waren vielleicht verwirrt, weil sie darin keine Botschaft oder kein einheitliches Ziel erkennen konnten. Tats&auml;chlich ist eine neue &Auml;ra des Feminismus angebrochen, vielschichtig aber nicht zersplittert, und nun taucht in der &ouml;ffentlichen Debatte pl&ouml;tzlich ein neuer Begriff auf, die &laquo;Intersektionalit&auml;t&raquo;. Was genau ist das eigentlich? Das B&uuml;ndel der Forderungen, die an den Protesten vom 21. Januar zu lesen waren, erkl&auml;rt es von selbst: &laquo;Refugees welcome&raquo;. &laquo;Keep your laws out of my vagina&raquo;. &laquo;Black lives matter&raquo;. &laquo;Science is real&raquo;. &laquo;Flint needs clean water&raquo;. &laquo;Nobody likes you&raquo;*. Sich mehrfach &uuml;berlagernde Arten der Diskriminierung veranlassten die Frauen &ndash; und alle M&auml;nner, die ihnen beistehen wollten &ndash; zum Protest. Aus gutem Grund. Hillary Clintons Niederlage am 8. November gegen einen archetypischen Chauvinisten und Sexisten war ein Schlag f&uuml;r den Feminismus, dessen Lebenskraft gerade jetzt von grundlegender Bedeutung f&uuml;r die Demokratie ist.

Am &laquo;Women&lsquo;s March&raquo; gab es nicht nur Spruchb&auml;nder, sondern auch Scarlett Johansson, Madonna, Rihanna, Miley Cyrus und weitere Unmengen Prominente. Manche halten das f&uuml;r Pop-Feminismus im Dienste der Unterhaltungsindustrie und Konsumkultur. Feminismus ist eindeutig in Mode. W&auml;hrend der Amtszeit Obamas hat die Popkultur sich den Feminismus zu Eigen gemacht. Manchmal in brillanter Weise, wie die Serie &laquo;Girls&raquo; von Lena Dunham. Niemand h&auml;tte gewagt zu behaupten, keine Feministin zu sein, auch wenn man den Begriff nicht klar umreissen konnte oder wusste, was damit einherging. In der Modewelt setzte Maria Grazia Chiuri an ihrem ersten D&eacute;fil&eacute; als Kreativdirektorin von Dior ein starkes Signal, als sie Shirts mit der Botschaft &laquo;We should all be feminists&raquo; auf den Laufsteg brachte. An der letzten New Yorker Fashion Week gab es kaum einen Designer, der so tat, als interessiere ihn diese Weltanschauung nur am Rande. Der politische Kontext bewirkt, dass alles im Fokus steht und bedeutsam wird. Jeder war aufgerufen, deutlich oder zumindest da und dort Position zu beziehen. Ob aus &Uuml;berzeugung oder Opportunismus, die Haltung dem Feminismus gegen&uuml;ber bestimmt nun, wie ein Designer oder eine Marke wahrgenommen wird. Das Design selbst, das Styling, das Casting, die G&auml;ste, die Vorf&uuml;hrung und der Event stehen unabdingbar im Wechselspiel mit der politischen Sph&auml;re. An der Fashion Week, einer grossartigen Plattform der Expressivit&auml;t, ert&ouml;nen mehr denn je weibliche Forderungen, die sich gr&ouml;sstenteils zu feministischen gewandelt haben. Prabal Gurung, Tracy Reese, Mara Hoffman, Christian Siriano, Public School, Calvin Klein und Oscar de la Renta, um nur einige zu nennen, geh&ouml;ren zu den Labels, die klar Stellung bezogen haben.

Zwischen der ersten und zweiten Pr&auml;sidentschaftskampagne von Hillary Clinton hatte die Welt sich ver&auml;ndert. Obwohl sie zun&auml;chst ablehnte, sich &laquo;als Frau&raquo; f&uuml;r das Amt zu profilieren, und ihre Weiblichkeit an der Garderobe abgab, ist Feminismus inzwischen ein entscheidendes Argument. Zu sehen, wie jedes Starlet und jede Marke den Feminismus so schnell f&uuml;r sich beansprucht, fand ich am Anfang fragw&uuml;rdig und ehrlich gesagt ein bisschen &auml;rgerlich. F&uuml;r mich und viele andere westliche Frauen zwischen 30 und 40 (Millennials sind wieder ein eine andere Sache) ist der Umgang mit dem Erbe des Feminismus kompliziert. Nachdem unsere M&uuml;tter diesen Kampf ausgefochten hatten, schien die Sache erledigt. Wir hatten theoretisch die gleichen Rechte wie die M&auml;nner. Dieses Erbe wurde manchmal auch etwas m&uuml;hsam. Da unsere M&uuml;tter das Recht auf Arbeit hart erk&auml;mpft hatten, durften wir uns auf keinen Fall beschweren, auch nicht mit Baby auf dem Arm. Direkt aus der Entbindungsstation &ndash; hopp! &ndash; zur&uuml;ck in den mausgrauen Hosenanzug: mit einem L&auml;cheln und voller Dankbarkeit, versteht sich. Sie waren so &uuml;berzeugt, dass den Frauen alles m&ouml;glich ist, dass das Hinterfragen dieses Erbes schwierig wurde. Die K&auml;mpfe waren vorbei, der Feminismus roch ein bisschen ranzig.

Unter dem Lack der Gleichberechtigung treten nun die Realit&auml;ten zu Tage. Es gibt noch so viel zu erk&auml;mpfen. Doch heute stehen diese Fragen unter so anderen Vorzeichen, dass die Texte, Paradigmen und Gesichter von gestern, wenngleich nach wie vor von didaktischem Wert, zur L&ouml;sung aktueller Probleme nicht taugen. Wieso kommen so wenige Frauen in F&uuml;hrungspositionen? Wieso sind sie bei gleicher Verantwortung schlechter bezahlt? Ist es schlimm, wenn einem ein Mann auf der Strasse nachpfeift? Ist der Minirock eine Form der Unterwerfung oder der Befreiung? Kann man Feministin sein und zu Hause f&uuml;r die Kinder sorgen? Ist die Geschlechtsidentit&auml;t festgelegt? Kann man seine Bisexualit&auml;t offen ausleben, ohne sich rechtfertigen zu m&uuml;ssen? Abtreiben, ohne dass man Schuldgef&uuml;hle eingeredet bekommt? Das sind nur einige Fragen, mit denen viele Frauen t&auml;glich konfrontiert sind. Es braucht neue Stimmen, um diese Fragen in die &ouml;ffentliche Debatte einzubringen. Sheryl Sandberg (Lean in), Anne-Marie Slaughter (Why women still can&rsquo;t have it all) oder Lena Dunham &ndash; der Feminismus hat neue Gesichter. Starke Figuren r&uuml;cken auf zahllose Weisen ins Rampenlicht und belegen die F&uuml;lle des Frauseins: in der Diversit&auml;t der Werdeg&auml;nge, Gesichter und Diskurse, die vom Aufbrechen der Stereotypien und vom Recht auf Leben erz&auml;hlen und die das Weibliche ganz individuell zelebrieren. Beyonc&eacute;, Misty Copeland und Alicia Keys &ndash; all diese Frauen haben ihren Beitrag geleistet, feministische Werte in andere Bereiche zu tragen und die Menschen zu ber&uuml;hren. In New York hat Audrey Gelman &laquo;The Wing&raquo; gegr&uuml;ndet, einen Club exklusiv f&uuml;r Frauen, der die vielgestalten und komplexen Ambitionen dieses neuen Feminismus belegt. Umso besser, wenn die Welle allgemeiner Begeisterung diese Debatte &uuml;bernimmt, auch wenn sie nur anekdotisch oder irgendwie schick ist. Immerhin wird so der Feminismus entzaubert, seine oft einsch&uuml;chternde Diskussionskultur und das Ausschliessen aller, die damit nicht vertraut sind.

Aber macht einen das Tragen einer rosa M&uuml;tze schon zur Feministin? Sicher, sie ist nur eine Metapher, doch die symbolische Resonanz dieser Metapher ruft uns die ungeheure Macht der Solidarit&auml;t in Erinnerung. Der &laquo;Women&lsquo;s March&raquo; war einer der gr&ouml;ssten Protestm&auml;rsche der US-Geschichte, sein enormes weltumspannendes Echo dabei nicht eingerechnet. Die Wahl Donald Trumps wirkte wie ein Erdbeben, das die Energien von allen Gruppen mobilisierte und b&uuml;ndelte, die sich unter dem ausreichend breiten, einladenden Dach des neuen Feminismus trafen und wiedererkannten. Der Alarmzustand in der aktuellen politischen Landschaft verleiht dem Feminismus eine ganz neue, einende Kraft. Zu erkennen, was eine Gruppe verbindet, nicht was sie trennt, das ist schon ziemlich viel. Es best&auml;tigt sich wieder einmal, dass wir Frauen die treibende Kraft hinter gesellschaftlichen Ver&auml;nderungen sind. Der &laquo;Women&lsquo;s March&raquo; spiegelt die st&auml;ndig wachsende Gemeinschaft von Frauen und M&auml;nnern mit diversen Hintergr&uuml;nden, von Einwanderern, der LGBT-Community und Menschen aller Religionen, denen die Entwicklung neuer Formen des Zusammenlebens dringend am Herzen liegt. Die hoffen, dass der Feminismus eine neue, anpassungsf&auml;hige Topographie skizziert, einen Ort der Inklusion, Gerechtigkeit und Toleranz, des sozialen und wissenschaftlichen Fortschritts, des Mitgef&uuml;hls und der Menschlichkeit. Feministin zu sein bedeutet heute, da auf der ganzen Welt alle m&ouml;glichen Diktatoren an die Macht dr&auml;ngen, wachsam zu sein, informiert, engagiert, k&auml;mpferisch und besonders: solidarisch (was dem Feminismus nicht immer gelungen ist). Mit Z&auml;hnen und Klauen &ndash; oder ohne.

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* Quelle: New York Times 

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Feminismus ist das neue Schwarz

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